Dr. Heinrich Schmelzer


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Kontinenzorgan

Damit Sie Untersuchung und Art der Erkrankung und Behandlung besser verstehen können, möchte ich Ihnen einen Einblick in Bau und Funktionsweise des Abschlusssystems des Enddarms geben, das die Kontinenz sicher stellt.

Mit dem Finger gleitet man in einen 4-5 cm langen elastischen Kanal – bei der Frau ist er schmächtiger-, der aus zwei Muskelmanschetten, dem inneren und dem mehrfach portionierten äußeren Schließmuskel besteht. Wie zwei unterschiedlich große Serviettenringe steckt dabei der innere im äußeren, wobei der Rand des äußeren den inneren überragt. Dieser Rand entspricht dem ringförmigen Muskelwulst, den wir außen fühlen.

 

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Der innere Schließmuskel (Sphinkter internus) besteht aus sogenannter glatter Muskulatur, die ständig tonisiert ist. Er ist verantwortlich für die Sicherung unserer Kontinenz in Ruhe. Sein Tonus kann anlagebedingt oder reflektorisch erhöht sein, z.B. bei einer schmerzhaften Fissur; auch psychische Faktoren scheinen die Höhe des Tonus zu beeinflussen.

Der äußere Schließmuskel (Sphinkter externus) hingegen ist ein sogenannter quergestreifter Muskel wie die Muskeln des Skeletts: Er kann über die Nervenbahnen des Rückenmarks willentlich aktiviert werden –wenn wir den Entleerungsvorgang hinausschieben oder abbrechen wollen. Und er wird automatisch aktiv (Externusreflex), wenn Stuhldrang entsteht oder wenn etwas unbemerkt aus dem After heraustreten oder in ihn eindringen will – ein Reflex, der über ein Nervengeflecht im Bereich des unteren Rückenmarks verläuft (Sacralplexus).

Die äußere Haut zieht sich als “Lippenrot des Afters“ (Anoderm) bis in die obere Mitte des Analkanals. Sie ist sehr empfindlich und mit vielen Nervenfasern versehen. Über diese werden die Ankunft von Stuhl und dessen Qualität wahrgenommen (gasförmig, flüssig oder fest) und der Externusreflex  ausgelöst.

Das Anoderm trägt keine Hornschicht, daher kann es leicht einreißen (Analfissur). Unter ihm liegen die Abflussvenen des hämorrhoidalen Gefäßpolsters, in denen das Blut stocken kann (Perianalthrombose).

Das hämorrhoidale Gefäßpolster, ein arteriovenöses Gefäßgeflecht, das wir Hämorrhoiden nennen, wenn es Symptome macht, liegt im oberen Teil des Kanals, wo bereits die Schleimhaut beginnt, die den ganzen Darm auskleidet. In Ruhe ist dieses Gefäßgeflecht blutgefüllt und dichtet gegen ungewollten Windabgang oder Flüssigkeitsaustritt ab.

haem150neuneuDie Mitte des Analkanals, wo Anoderm und Schleimhaut des Enddarms aufeinandertreffen, ist eine sehr kritische Zone. Hier können sich Polypen (Analpolypen) bilden, die manchmal beträchtliche Größe erreichen, aber immer gutartig sind. Hier münden auch Drüsen, die zwischen den Schließmuskelringen sitzen und keine Bedeutung haben (stammesgeschichtliche Relikte), sich aber wie der Blinddarm spontan entzünden und einen akuten fistulösen Abszess hervorrufen können.

winkel90Nach oben hin geht der Analkanal mit einem Knick von 90 Grad ins Rektum über, dem Stuhlreservoir des Enddarms, das seitlich und hinten von der Muskulatur des Beckenbodens (Levatoren) wie in einer Wiege gehalten wird. Ein Teil dieser Muskulatur, der Puborektalis, spannt sich mit einem Dauertonus wie eine Schlinge von Schambeinast zu Schambeinast um den Enddarm – Afterschlauch herum und hält die Abknickung aufrecht. Indem der Binnendruck des Bauchraums die Vorderwand des Rektumpassiver-verschlusss auf die Hinterwand presst, wird die Kontinenz passiv gesichert. Einer willentlichen Aktivierung entzieht sich die Puborektalschlinge, jedoch spannt sie sich unwillkürlich immer dann an, wenn dem Abschlusssystem Stress droht, beim Treppensteigen, beim Sport sowie beim Husten und Nießen. Damit ist sie der wichtigste Muskel für die Aufrechterhaltung der Kontinenz.

Physiologischer Entleerungsvorgang

winkel130Die ideale Entleerung ist ein Automatismus. Zunehmende Füllung des Enddarms triggert über Dehnungsrezeptoren, die zwischen Rektumwand und Puborektalis vermutet werden, den Öffnungsreflex des Afters (rekto-analer Relaxationsreflex): der innere Schließmuskel erschlafft, die Puborektalschlinge gibt nach, der Beckenboden tritt tiefer, der Enddarm streckt sich, der anorektale Winkel wird größer – Stuhl kann in den oberen After eintreten, wir empfinden Stuhldrang (Animation).

Gleichzeitig wird der äußere Schließmuskel aktiviert (Externusreflex). Ist die Entleerung gewollt, geben wir dem Drang nach, der äußere Sphinkter entspannt sich und Kontraktionen der Enddarmmuskulatur unter Mithilfe der Bauchpresse treiben den Stuhl hinaus. Ist sie ungewollt, können wir die Kontraktion des äußeren Sphinkters willentlich verstärken und die Entleerung zurückhalten (max. 45 Sek.). Infolge der plastischen Elastizität der Rektumwand adaptiert sich in dieser Zeit ihr Spannungszustand an das erhöhte Füllungsvolumen (Adaptationsreflex) und Drang und Öffnungsreflex lassen nach, bis bei weiterer Füllung des Enddarms der geschilderte Mechanismus von neuem einsetzt. Unterdrückt man Stuhldrang so lange, bis die maximale Compliance der Rektumwand erreicht ist, wird er unwiderstehlich.

strumpfSA1Tritt die Stuhlsäule durch den After dienen die Levatoren (Afterheber), als festes Widerlager, indem sie sich reflektorisch anspannen und damit einen Gegenzug ausüben, der die Austreibung der Stuhlsäule ermöglicht –  ähnlich der Technik, die wir anwenden, um in einen Strumpf zu steigen. Durch gleichzeitige Betätigung der Bauchpresse werden Austreibungsdruck und Anspannung der Levatoren verstärkt.

Während die Schließmuskeln erschlaffen, kann das Blut aus dem hämorrhoidalen Gefäßgeflecht abfließen. Wird der Öffnungsreflex des Afters nur ungenügend ausgelöst – bei trockenen, harten und leichten, aber auch breiigen Stühlen -, die Entleerung aber dennoch durch Pressen vorangetrieben, vergrößert sich über Jahre das Gefäßgeflecht, es entstehen Hämorrhoiden.

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